Als "Generation prüde" werden junge Männer und Frauen von heute oft verspottet: Sie haben weniger Sex als ihre Eltern oder Großeltern im vergleichbaren Alter hatten.
Sind die Jungen einfach konservativer? Oder gar verklemmter? Die eigentliche Ursache liegt woanders: Junge Frauen scheitern systematisch am Online-Dating.
Die Studienlage ist eindeutig: Junge Menschen in der westlichen Welt gehen heute seltener mit anderen ins Bett als noch vor ein oder zwei Generationen. Es gibt viele Erklärungsansätze dafür: die Rückkehr konservativer Werte, die Fixierung auf die Ausbildung in jungen Jahren oder die gestiegene Angst vor Geschlechtskrankheiten, um nur einige zu nennen. Selbst der sinkende Alkoholkonsum unter Jugendlichen wurde schon als Begründung angeführt. Wer nüchtern bleibt, vögelt demnach seltener.
Wenn man erklären will, warum es in der Generation Z weniger Sexualkontakte gibt als noch bei den Millennials (Generation Y), macht es Sinn, den Focus auf die jungen Frauen zu legen. Sie entscheiden in jeder Generation maßgeblich darüber, wie oft es zu Sex kommt. Junge Männer wollen aufgrund ihrer naturgegebenen Triebigkeit eigentlich immer. Das mag nicht wirklich für jeden Einzelnen gelten, aber es kommt in etwa hin. Kaum jemand würde ernsthaft annehmen, dass junge Frauen heute weniger Sex haben als früher, weil die Männer einfach keine Lust mehr haben, mit ihnen ins Bett zu gehen. Männer wollen zwar immer seltener heiraten, aber Heirat und Sex sind ganz verschiedene paar Schuhe. Es ist also mehr als plausibel anzunehmen, dass der limitierende Faktor beim Sex nach wie vor die Frauen sind.
Warum Dating-Apps zu weniger Dating führen
Konkret lautet die Frage also: Warum haben junge Frauen im Durchschnitt weniger Sex als ihre Mütter und Großmütter?
Um die Antwort vorwegzunehmen: Der Grund liegt am Siegeszug des Online-Datings in der Generation Z. Sie ist von Anfang an mit Tinder & Co groß geworden. Während die Sozialkontakte im realen Leben immer weniger werden, spielen Apps eine zunehmend wichtigere Rolle. Warum aber sollten ausgerechnet Dating-Apps dazu führen, dass es immer weniger Sex gibt? Das Konzept dahinter ist doch eigentlich das Gegenteil: Der nächste Mann ist immer nur einen Wisch auf dem Display des Smartphones entfernt.
Um zu verstehen, was hier bei jungen Frauen schief läuft, ist es zweckmäßig, sich zwei verschiedene Szenarien vorzustellen: einmal die Welt von heute und einmal die Welt vor 20 Jahren, als es weder Tinder noch Instagram gab, das für das online Kennenlernen eine ähnlich große Rolle spielt, auch wenn die eigentliche Idee dahinter nicht Dating war. Vor 20 Jahren kannte eine junge Frau nur eine sehr begrenzte Anzahl von Männern: Schulfreunde, Nachbarn, Jungs, die die gleiche Diskothek besuchten. In der Welt von heute hat eine junge Frau hingegen Zugang zu tausenden Männern - aus ihrer Stadt oder auch von weit weg. Ein Gen-Z-Mädel, das sich bei Tinder anmeldet, wird innerhalb weniger Stunden auf hunderte Likes kommen. Wenn sie ein Konto auf Insta eröffnet und attraktive Fotos etwa vom letzten Badeurlaub oder aus dem Gym veröffentlicht, wird sie schon nach wenigen Wochen hunderte oder tausende Follower haben.
Wohlgemerkt, das sind Zahlen für eine Frau, die bei Männern als durchschnittlich attraktiv gilt. Eine angehende Schönheitskönigin kann hier noch ganz andere Werte erreichen, und eine als weniger attraktiv geltende Frau kann durch etwas mehr Freizügigkeit bei der Bilderauswahl die Zahl der Likes oder der Follower kräftig nach oben treiben. Wer nicht glaubt, dass das massenhaft geschieht, der möge sich bei den entsprechenden Diensten anmelden - das ist kostenlos - und sich die Profile junger Frauen anschauen.
Die große Illusion: Frauen fühlen sich begehrter als früher
Durch dieses riesige Interesse von Männern fühlen sich die Frauen sehr begehrt. Das ist einfach nachvollziehbar: Wurden ihre Mütter noch zwei- oder dreimal am Abend in der Diskothek angesprochen, kommen ihre Töchter auf hunderte oder tausende Online-Bewunderer.
Frauen, die sich extrem begehrt fühlen, werden naturgemäß anspruchsvoller. Sie schrauben ihre Standards nach oben. Männer, mit denen sie sich zu einem Date treffen, müssen attraktiver und spannender sein als noch zu Zeiten ihrer Mütter. Und auch das Date selbst muss ein gehobenes Umfeld haben: Kein Bier in der Kneipe oder einen Kaffee zum Kennenlernen - der Besuch eines sehr guten Restaurants scheint für ein erstes Treffen mehr als angemessen. Sehr häufig machen Frauen in ihren Datingprofilen auch klar, dass sie gleich mehrere dieser Treffen erwarten, bevor es (womöglich) irgendwann mal zum Sex kommt. "Ich suche keinen One Night Stand" ist dafür eine gängige Formulierung, was soviel bedeutet wie: "Wenn du mit mir super begehrter Frau ins Bett willst, musst du mich schon mehrfach treffen!" Manche ergänzen das noch um "Keine Freundschaft+". Das meint: "Ich fordere eine komplette Beziehung von dir, inklusive Monogamie. Unverbindlichen Sex gibt es von mir gar nicht."
Ökonomisch formuliert bedeutet das: Junge Frauen treiben ihren Preis nach oben. Das ist eine normale Reaktion auf eine stark gestiegene Nachfrage und nichts Verwerfliches. Niemand will sich selbst "unter Wert verkaufen". Ein Ingenieur etwa, der zu dem Schluss kommt, dass sich die Unternehmen um ihn reißen, wird seine Ansprüche an einen künftigen Arbeitgeber ebenfalls stark nach oben schrauben.
Frauen preisen sich selbst aus dem Markt
Das Problem bei den jungen Frauen ist aber: Der subjektiv empfundene Wertzuwachs ist eine komplette Illusion, jedenfalls im Durchschnitt (zu den Ausnahmen später mehr). Was Frauen übersehen, die sich auf den sehr großen Online-Datingmarkt begeben ist, dass es dort auch sehr viel mehr Konkurrentinnen gibt. Die werden ihnen bei Tinder & Co aber gar nicht erst angezeigt. Vor 15 oder 20 Jahren, als ihre Mütter in der Disco waren, konkurrierten an einem Abend vielleicht einhundert Frauen um die Aufmerksamkeit von einhundert Männern (oder umgekehrt). Heute konkurrieren zehntausend Frauen in einer größeren Stadt online um die Aufmerksamkeit von zehntausend Männern in der gleichen Stadt. In der Wirklichkeit hat sich also nicht viel verändert, insbesondere das zahlenmäßige Verhältnis von Männern und Frauen ist gleich geblieben. Es gibt also im Verhältnis nicht mehr Männer, die an Dates interessiert sind als früher.
Wenn nun Frauen höhere Ansprüche haben (also ökonomisch formuliert: ihren Preis nach oben treiben), ohne dass sie tatsächlich begehrter sind als früher, dann wird die Nachfrage sinken. Das lässt sich auch grafisch darstellen, in einem einfachen Diagramm, wie es in der Ökonomie oft verwendet wird. Es zeigt das Angebot und die Nachfrage nach Dates: (Wer darauf keine Lust hat, kann einfach ab der nächsten Zwischenüberschrift weiterlesen...)
Abkürzungen:
P = Preis (für ein Date)
D = Menge an Dates zwischen Männern und Frauen
A = Angebot der Frauen an Dates (preisabhängig)
A' = Angebot an Dates, nachdem Frauen sich für besonders begehrenswert halten (Online-Dating)
N = Nachfrage der Männer nach Dates (ebenfalls preisabhängig)
In der Grafik ist das preisabhängige Angebot und die ebenfalls preisabhängige Nachfrage nach Dates eingezeichnet. Preisabhängig bedeutet nicht, dass es sich hier um Prostitution handelt, sondern es geht allgemein um die Frage, was Männer bieten müssen mit Blick etwa auf ihr Äußeres und den Rahmen, in dem ein Date stattfindet (z.B. Bier in der Kneipe oder Essen im Luxusrestaurant mit ausführlichem Kennenlernen, siehe oben).
Die Angebotskurve der Frauen A hat einen steigenden Verlauf. Das bedeutet, umso mehr Frauen haben Interesse an einem Date, umso mehr die Kerle, mit denen sie sich treffen, zu bieten haben (also umso höher der Preis im obigen Sinne ist, den sie zahlen). Die Nachfragekurve N der Männer hat hingegen einen fallenden Verlauf. Das bedeutet: Umso weniger Männer bei einem Date den Frauen bieten müssen, umso mehr sind sie an einem Treffen interessiert. Im ursprünglichen Marktgleichgewicht, dem Schnittpunkt der Kurven A und N, gibt es eine bestimmte Menge an Dates (abgetragen an der horizontalen D-Achse) zu einem bestimmten Preis (abgetragen an der vertikalen P-Achse).
Wenn nun Frauen der Illusion verfallen, sie seien besonders begehrt, wie es die Folge des Online-Datings ist, dann entspricht das einer Verschiebung der Angebotskurve nach oben, von A zu A'. Das bedeutet: Für jede beliebige Menge Dates verlangen Frauen einen höheren Preis. Im neuen Gleichgewicht, dem Schnittpunkt von A' und N ist der Marktpreis tatsächlich gestiegen (der Schnittpunkt liegt höher als im ursprünglichen Gleichgewicht), gleichzeitig aber ist die Menge an Dates gesunken (der neue Schnittpunkt liegt weiter links).
Männer sind keinesfalls süchtig nach Frauen
Das ist - ökonomisch erklärt - der Grund, warum junge Frauen der Gen Z heute weniger Sex haben als ihre Mütter und Großmütter. Durch ihre vermeintlich höhere Wertschätzung, die auf einer Illusion beruht, preisen sich Frauen teilweise selbst aus dem Markt. Die Erwartungshaltung ist so hoch, dass ein Teil der Männer auf Dates verzichtet. Eine Nebenerkenntnis davon ist, dass Männer - anders als mitunter angenommen - nicht sexsüchtig sind. Ein Heroinsüchtiger würde nahezu jeden Preis für den nächsten Schuss bezahlen, notfalls würde er Straftaten begehen, um das Geld zusammen zu kriegen. Männer aber zeigen ein ganz übliches Marktverhalten: Steigt der Preis, sinkt die Nachfrage (ökonomisch formuliert: die Preiselastizität der Nachfrage ist größer null). Manche Männer verzichten dann ganz auf Dates und/oder suchen sich eine Ersatzbefriedigung, etwa Pornographie.
Durch eine weitere Differenzierung lassen sich noch spannende zusätzliche Erkenntnisse gewinnen. In der bisherigen Betrachtung steckte eine Annahme, die nicht kenntlich gemacht wurde: Ein Date ist so gut wie das andere. Nur deswegen konnte es einen einheitlichen Marktpreis geben. Für einen Mann spielt es demnach keine Rolle, ob er sich mit der angehenden Miss Germany trifft, oder mit einer Frau, deren Körper mit Tattoos übersäht ist und die 50 Kilo Übergewicht hat. Eine solche Annahme hat natürlich nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Dates sind kein homogenes Gut, eine Frau ist nicht wie jede andere.
Ultra-Premium-Frauen profitieren von Onlinedating
Es gibt einige wenige Frauen, die von dem größer gewordenen Markt außerordentlich profitieren. Eine, die nach Einschätzung der Männer eine zehn von zehn auf der Skala ist, hat durch Online-Dating mehr Möglichkeiten als früher. Der Grund liegt darin, dass solche Ultra-Premium-Frauen außerordentlich rar sind und es einige wenige, sehr vermögende Männer gibt, die keine Kosten und Mühen scheuen, mit diesen Frauen in Kontakt zu kommen. Wenn sie eine auf Insta oder Tinder entdecken, kann es schon mal sein, dass sie mit einem Privatjet aus Hamburg abgeholt wird, um an einer netten Party in Nizza teilzunehmen. Vor zwanzig Jahren, in der Dorfdisco von Hintertupfing, wäre das erheblich unwahrscheinlicher gewesen. Ohne Online-Dating hätten die wenigen super reichen Männer dieser Welt die wenigen super schönen Frauen viel seltener gefunden. Umgekehrt bedeutet das: Es sind eher die Frauen, die aus Sicht von Männern nur durchschnittlich attraktiv sind, und noch mehr jene, die als unterdurchschnittlich empfunden werden, die sich durch ihre gestiegene Erwartungshaltung selbst aus dem Markt preisen. Die Bereitschaft der Männer, für ein Date mit einer solchen Frau mehr Ressourcen zu investieren (Zeit, Aufmerksamkeit, aber auch Geld, etwa für das Rahmenprogramm) fällt weit geringer aus.
Da heute die allermeisten festen Beziehungen aus zunächst eher unverbindlichen Affären entstehen und ein Teil des Kennenlernens im Bett stattfindet (das gegenteilige Konzept "kein Sex vor der Ehe" hat kaum noch Anhänger), kann man die Prognose wagen, dass weniger Dates und weniger Sex im Laufe der Zeit auch zu immer weniger Beziehungen führen werden.
Zusammenfassung: Junge Frauen der Generation Z haben weniger Sex als ihre Mütter, weil sie beim Dating vor allem auf Onlinedienste setzen. Dort unterliegen sie durch viele Likes und Follower der Illusion einer stark gestiegenen Nachfrage. In der Folge steigern sie ihre Erwartungshaltung gegenüber Männern. Da sich jedoch in der Wirklichkeit das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Männern und Frauen (und damit die Nachfrage) nicht verändert hat, preisen sich insbesondere Frauen, die bei Männern als nur durchschnittlich oder unterdurchschnittlich begehrenswert gelten, selbst aus dem Markt. Frauen, die sehr weit oben auf der Attraktivitätsskala der Männer stehen, können hingegen von Onlinedating profitieren.